Spontanremissionen bei Krebs – hoffnungsvolle Erkenntnisse aus 40 Jahren onkologischer Tätigkeit

Dr.med. Walter Weber, Hamburg

Vortrag am 31.10.2014 auf der 48. Medizinischen Woche in Baden-Baden

Nach meinem Staatsexamen 1968 folgten die Lehr- und Ausbildungsjahre an der Universität und an verschiedenen Krankenhäusern. Die Ausbildung schien passend für den Beruf des Arztes, denn die Patienten kamen krank ins Krankenhaus und verließen es Tage oder Wochen später gesund oder zumindest gebessert. Das war sehr zufriedenstellend.

Mit dem Eintritt in die Praxis, also in die ambulante Medizin änderte sich das allerdings gravierend. Hier, wo ich Patienten nicht nur für Tage oder Wochen, sondern für Monate oder Jahre sah, ergab sich ein völlig anderes Bild: Gesundheit ist kein Zustand, sondern ein Prozess und Reparatur ist oftmals keine Heilung.

Seit 1973 wurden in unserer internistischen Abteilung vermehrt Krebspatienten mit Chemotherapie behandelt, z.T. mit beachtlichem Erfolg. Im Laufe der Zeit, insbesondere seit Praxisbeginn 1979 relativierte sich dieser Erfolg und in der Mitte der 80-er Jahre konnte ich erkennen, dass sich trotz Chemotherapie keine grundsätzliche Verbesserung der Behandlungserfolge ergab: Ca. 50 % der Krebspatienten werden medizinisch geheilt, ca. 50 % sterben an dieser Erkrankung – an diesen Zahlen hat sich bis heute nur wenig geändert. Diese Tatsache war für mich der Grund zu hinterfragen, ob die derzeit gängigen Theorien zur Entstehung und Ausbreitung von Krebs ausreichen. Meine Antwort ist eindeutig nein. Albert Einstein sagt dazu: Die Theorie bestimmt, was wir beobachten können.

Die Theorie besagt, dass ein Tumor, einmal entstanden, unaufhaltsam wächst, wenn er nicht durch erfolgreiche Behandlung gestoppt wird. Diese gängige Meinung (Theorie) stimmt nicht, wie ich in der Praxis feststellen konnte: Eine Patientin mit metastasiertem Mammakarzinom ( Pleurametastasen mit Pleuraerguss ) konnte wegen eines Magengeschwürs Tamoxifen nicht mehr einnehmen. Fünf Jahre lang zeigte sich keinerlei Tumorwachstum trotz fehlender Therapie. Erst dann wuchs der Tumor erneut. Ähnliche Beobachtungen konnte ich häufiger machen, wenn ich den Spontanverlauf abwartete und nicht sofort eine Therapie begann.

Die Amerikanerin Carlyle Hirshberg hat für jede Tumorart Spontanremissionen ausfindig gemacht

In den 90-er Jahren erschienen die Arbeiten von Caryle Hirshberg. Die Amerikanerin hat sich die Mühe gemacht, sämtliche medizinischen Journale seit 1890 nach Berichten über Spontanheilungen bei Krebs zu durchsuchen. Sie ist dabei durchaus fündig geworden. Sie hat für jede (!) Tumorart Spontanremissionen oder Spontanheilungen in jeder Phase der Krankheit gefunden. Sie hat dies in einem Standardwerk dokumentiert. Dann hat sie sich auf die Suche gemacht nach den Menschen, die nach einer Spontanremission oder Spontanheilung lebten. Sie hat diese Menschen ausfindig gemacht und Interviews durchgeführt. Bei diesen Interviews wollte sie herausfinden, ob es irgendeinen gemeinsamen Nenner gibt, der alle diese Patienten miteinander verbindet. Darüber hat sie ein Buch geschrieben, das in Deutschland dreimal verlegt worden ist, und zwar unter dem Titel „Unerwartete Genesung“, „Spontan Heilungen“ und „Gesundwerden aus eigener Kraft“.

Im Vorwort zum Buch „Unerwartete Genesung“ schreibt Prof. Walter Gallmeier: „Unerwartete Genesungen sind ein wichtiges Thema in unserer Medizin, und doch bleiben sie weithin unbeachtet. Wir Ärzte scheuen uns, sie zu diskutieren, wer es dennoch tut, findet sich als Wissenschaftler rasch im Abseits. (Doch) … wer nicht wahrnimmt, was jeder sehen kann, gibt damit seinen Anspruch als Wissenschaftler auf, weil er an der Realität vorbeischaut. Unerwartete Genesungen sind eine Realität – auch in der Medizin des 20. Jahrhunderts“. Hundert Jahre vor Gallmeier hielt der bekannte Heidelberger Krebsforscher Vincenz Czerny   auf der internationalen Konferenz für Krebsforschung im September 1906 ein Referat über unerwartete Krebsheilungen. Dabei sagte er:

„Bei Menschen wurden ab und zu Fälle beobachtet, bei denen die scheinbar schlechteste Prognose im weiteren Verlauf sich als unrichtig herausstellte. Gewöhnlich nahm man dann an, dass die Diagnose falsch war und da man sich zu diesem Geständnis nicht gern entschließt, wurden diese Beobachtungen entweder verschwiegen oder nur verschämt mit einem Fragezeichen mitgeteilt.“

Die sechs Kategorien der Spontanremission

Caryle Hirshberg hat festgestellt, dass das Phänomen der Spontanremission so selten beobachtet wird, weil immer die vollständige Heilung, möglichst über zehn Jahre gesucht wird. Nur: Wer hat überhaupt die Möglichkeit, Patienten so lange zu beobachten? Sie hat festgestellt, dass uns das Phänomen von Spontanheilung oder Remission wesentlich häufiger begegnet, wenn wir es in sechs Kategorien einteilen:

  1. Kategorie: Es erfolgte nach der Diagnose keine Behandlung. Dann haben wir eine tatsächliche, im engeren Sinne stattfindende Spontanheilung.
  2. Kategorie: Es erfolgte eine unzulängliche Behandlung, z.B. statt 40 Strahlentherapien nur zehn Strahlentherapien, nur eine Chemotherapie statt sechs oder eine abgebrochene Alternativbehandlung.
  3. Kategorie: Verzögertes Fortschreiten der Erkrankung. Hierbei wird ein Stillstand der Tumorentwicklung über längere Zeit beobachtet bzw. eine nur leichte Rückbildung über längere Zeit, was dann doch in einem Wachstumsaufschub von fünf oder zehn Jahren resultiert.
  4. Kategorie: Ist längeres Überleben als nach der statistischen Aussage zu erwarten. Hier würden wir einen Patienten finden, der z.B. eine statistische Lebenserwartung von drei bis sechs Monaten hat und auch sieben Jahre später noch lebt.
  5. Kategorie: Es ist eine Mischung aus schulmedizinischer und alternativer Behandlung erfolgt, jedoch keine der Behandlungen kann das Phänomen der Rückbildung oder sogar der Heilung erklären.
  6. Kategorie: Wunder wie sie in Lourdes auch bei Krebserkrankungen dokumentiert worden sind.

Wenn man Spontanheilung bzw. Spontanremission in diese sechs Kategorien einteilt, dann findet man dieses Phänomen in der Tat nicht selten. Ich selbst konnte es in meiner Praxis ebenfalls beobachten. Hier ein Beispiel:

Ein Patient mit einem kleinzelligen Bronchialkarzinom war bei mir zur Gesprächstherapie und bekam zweimal eine übliche Chemotherapie. Danach war die Krankheit im Röntgenbild und im CT nicht mehr zu sehen. Üblicherweise kann bei dieser Erkrankung bei drei Prozent (!) der Fälle eine medizinische Heilung erzielt werden, wenn sechsmal eine Chemotherapie gegeben wird und anschließend eine Bestrahlung von Lungenherden und Gehirn erfolgt. Die Tatsache, dass diese äußerst bösartige Erkrankung nach zweimal Chemotherapie verschwunden war, überraschte die Ärzte. Die Erkrankung war auch fünfzehn Jahre später noch nicht wieder aufgetreten. Diesen Verlauf würden wir unter die Kategorie 2 einordnen: unzulängliche bzw. abgebrochene Behandlung.

Seitdem ich die Arbeit von Caryle Hirshberg und auch sie selbst persönlich kennengelernt habe, habe ich überprüft, wieweit diese Phänomene in meiner eigenen Praxis auftreten. Ich habe dabei in zunehmendem Masse Spontanremissionen und auch Spontanheilungen festgestellt.

Um Spontanremissionen zu beobachten, muss man Spontanverläufe beobachten! In den meisten Situationen einer onkologischen Erkrankung, d.h. beim Auftreten einer Krebserkrankung kann der Spontanverlauf zumindest über zwei bis drei Monate ohne Behandlung beobachtet werden. Das sollte natürlich immer mit einem onkologisch versierten Arzt besprochen werden, um kein Risiko für den Patienten einzugehen. Der große Vorteil der Beobachtung eines Spontanverlaufes liegt darin, die biologische Dynamik einer Krebserkrankung zu erkennen: Wie schnell entwickelt sich der Tumor? Diese Beobachtung ist dann sehr wertvoll für die Beurteilung, wie intensiv eine Erkrankung behandelt werden muss. Meine Beobachtung zeigt, dass in den meisten Fällen das Abwarten, heutzutage mit dem modernen Begriff „watchful waiting“ oder „active surveillance“ bezeichnet (zu Deutsch: abwarten und Tee trinken), für den Patienten große Vorteile bringt.

Die vier gemeinsamen Faktoren bei Spontanheilungen nach Joe Dispenza

Der Amerikaner Joe Dispenza berichtet, dass bei Untersuchungen bei Patienten mit ungewöhnlichen Verläufen bzw. Spontanheilungen vier gemeinsame Faktoren herausgefunden wurden:

1.Das vollständige Übernehmen der Verantwortung für die gegebene Situation, das bedeutet, die Tatsache anzuerkennen, dass die Erkrankung etwas mit „meinem Leben“ zu tun hat ( Faktor Autonomie).

2.Das Anerkennen dessen, dass es etwas Größeres gibt als mich (spiritueller Faktor, Glaube, Religiosität).

3.Grundsätzliche Änderung von bedeutenden Mustern der eigenen Persönlichkeit, die sich als ungünstig für meine Gesundheit herausgestellt haben ( salutogene Faktoren).

4.Rückgewinnung der Kreativität, zumindest teilweise.

Die drei Phasen bei Patienten mit Spontanremissionen nach Hiroshi Oda

Der Japaner Hiroshi Oda hat Patienten mit Spontanremissionen nach ihrem Erlebensprozess zur Genesung befragt und fand folgende 3 Phasen.

1.Phase: Unterdrückung der inneren Ressourcen, Entstehung der Krebserkrankung

2.Phase: Diagnosenstellung, Suche nach Alternativen, bewusste Interozeption,

3.Phase: Wiederentdeckung und Realisierung der inneren Ressourcen, Remission des Tumors/ der Metastasen.

Der Amerikaner Larry LeShan, Pionier der Psychoonkologie, konnte vielen medizinisch unheilbaren Patienten helfen, indem sie durch ihn die eigene Lebensmelodie wiederfanden.

Bei Caryle Hirshberg war es der Faktor Autonomie, der eine zentrale Rolle bei günstigen Verläufen spielte.

An dieser Stelle möchte ich die Frage aufwerfen: Wie entsteht Krebs? Wenn eine Normalzelle sich in eine Krebszelle verwandelt, muss es hierfür ein Signal geben. Ein solches Signal besteht theoretisch grundsätzlich aus Energie und Information. Zwei solcher Signale sind identifiziert: Radioaktivität und chemische Gifte. Der dritte Signaltypus ist meines Erachtens psychosomatischer Stress, entweder kurzfristig und heftig oder langfristig ständig. Entfällt dieser Stress, erklärt das möglicherweise das Phänomen von Spontanheilungen. Natürlich können mehrere Faktoren gleichzeitig von Bedeutung sein. Die Bedeutung von psychosomatischem Stress bewerte ich aus meiner Einschätzung heraus mit einem Anteil von 70 bis 80 Prozent. Wenn psychosomatischer Stress also einen wesentlichen Faktor für die Krebsentstehung darstellt, ist seine Behandlung ein hoffnungsvoller Ansatzpunkt, um den Verlauf der Erkrankung positiv zu beeinflussen.

Was ist nun die Konsequenz für die Praxis? Ein Patient, der selbst eine Spontanheilung bei Lymphdrüsenkrebs erlebt hat, sagt: Man kann es nicht tun, aber man kann sich dafür öffnen. Ich stimme mit Prof. Gallmeier überein, der sagt: „Für gefährlich halte ich die Schlussfolgerung, die unerwartete Genesung zur Angelegenheit des „richtigen“ Tuns oder der „rechten“ Einstellung eines Kranken zu machen. Damit wird kranken Menschen ungerechtfertigter Weise eine Bürde aufgelastet, die das hoffnungsvolle Geschehen zur Quelle von Schuld und Verzweiflung machen kann.“

Was also ist das Fazit meiner Erfahrung aus 40 Jahren Praxistätigkeit in der Onkologie und 20 Jahren Beschäftigung mit dem Thema „Spontanremissionen“?

Zunächst einmal: Ja, es gibt sie, die Spontanremissionen und zwar deutlich häufiger als bisher beschrieben, wenn wir die Kriterien von Caryle Hirshberg anwenden. Wir können Sie aber nur sehen, wenn wir Spontanverläufe beobachten. In der Hämatologie ist das einfacher zu beobachten – man spricht hier von Schüben. Ähnlich ist es auch in der Onkologie, wenn man nur genauer hinschaut. Gallmeier spricht von einem komplexen Zusammenspiel von aktivierenden und inhibitorischen Regulationsmechanismen der Zellproliferation und meint, dass ihre Abhängigkeit von Kontextbedingungen in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses gerückt werden sollte. Übertragen auf die Therapie bedeutet dies, dass nicht nur die Abwehr pathogener Mechanismen und das „Wegmachen“ der unerwünschten Folgen ( OP, Radiatio, Chemotherapie) , sondern auch die Förderung salutogener Faktoren beachtet werden sollte. Anstatt also auf Spontanremissionen zu warten, sollte ich mit dem Patienten nicht nur die medizinische Behandlung besprechen, sondern auch salutogene ( gesundheitsfördernde ) Empfehlungen geben.

Das Leben stimmig und im Einklang mit sich selbst leben

Der Begründer der Salutogeneseforschung Aaron Antonovsky spricht von 3 wichtigen Faktoren zur Gesunderhaltung: Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit. Zusammengeführt wird dies in dem Begriff der Stimmigkeit. Ja, es geht darum, im Leben stimmig, im Einklang mit sich selbst zu leben. Eine Patientin hat es so ausgedrückt: Die Krebserkrankung ist eine ständige Mahnung, ein Leben zu leben, das meins ist. Eine andere sagte: Ich leben mein eigenes Leben, ich gehe meinen eigenen Weg. Das bedarf zunächst der Wahrnehmung, wo ich nicht „meine Lebensmelodie“ spiele.

Diesen Weg zu gehen, um stimmiger, authentischer zu werden, ist sehr erfüllend. Wenn er allerdings gegangen wird, damit der Krebs verschwindet, wird dies zum Stress und damit kontraproduktiv. Eine Patientin mit Lebermetastasen bei Mammakarzinom ist 1000 km auf dem Jacobsweg gewandert, um zu sich zu finden. Das Beiprodukt: deutlicher Rückgang der Lebermetastasen. Als sie Jahre später erneut pilgerte, um diesen Effekt zu wiederholen, wuchsen die Lebermetasten. Es war einfach nur Stress für sie.

Wie können Patienten herausfinden, was die Krankheit konkret mit ihnen zu tun hat, ohne dabei Schuldgefühle zu schüren? Der Patient darf selbst entscheiden, ob er sich mit diesem Aspekt beschäftigen möchte. Wenn ich etwas mit meiner Erkrankung zu tun habe, dann kann ich auch Einfluss nehmen und fühle mich weniger ohnmächtig. Das kann eine Chance sein. Viele Patienten möchten das nicht. Das ist ihr gutes Recht. Es sollte ein Angebot sein. Diese Frage zu tabuisieren, wie dies leider gängige Praxis ist, halte ich für Entmündigung. Dem Patienten dieses Themas aufzudrängen, ist ebenfalls nicht angemessen.

Zum Schluss meine ( salutogenen ) Empfehlungen:

  1. Medizinische Behandlung als autonomer, mündiger Patient. Förderung der Patientenkompetenz, wie der Züricher Prof. Nagel es nennt.
  2. Aufarbeitung innerer Konflikte mit dem Ziel, innere Stimmigkeit zu erreichen.
  3. Auf den Körper hören, auf das Bauchgefühl. Anders ausgedrückt: Was mich anspannt, das entferne ich aus meinem Leben und was mich entspannt, das fördere ich.
  4. Bewegung: 1 Stunde nordic walking oder Entsprechendes fördert den Heilungsprozess nachweislich um mehr als 50%.
  5. Ernährung: Durch die „China-Study“ (Colin Campbell ) wurde nachgewiesen, dass eine große Menge an tierischem Eiweiß krankheits- und auch krebsfördernd ist. Das Lesen dieses Buches ist lohnend. Aber auch hier gilt: Kein Fanatismus, sondern Umgang mit der Ernährung entsprechend Punkt 3: entspannt, nicht angespannt.
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